Bielefeld. Rechtsanwalt Michael Pattberg wünscht sich, sagt er, dass sein Beruf überflüssig wäre. Eine Utopie – weit weg von der Realität. Der 58-Jährige muss nur auf seinen Schreibtisch gucken; seine Aktentasche öffnen, um das zu erkennen. Da stapeln sich Prozesspapiere. Pattberg hat allein in den vergangenen Monaten über 30 Rechtsstreitigkeiten bearbeitet. Das besondere daran ist: Fast immer bekam er Recht – und immer war dabei der Prozess-Gegner die Deutsche Rentenversicherung.
Seine Erfolgssträhne hat zwei Hauptgründe: "Die Rentenversicherung lehnt offensichtlich auch berechtigte Ansprüche erstmal ab", sagt er, "und ich bin hartnäckig". Seine Klienten sind Menschen mit Behinderungen. Entweder haben sie körperliche Einschränkungen, oder sie leiden unter mentalen Störungen.
"Die Vorwürfe sind Quatsch"
Die Vorwürfe von Anwalt Michael Pattberg weist ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung Bund zurück. Er sagt, jeder Fall werde individuell geprüft, eine Anweisung, Ansprüche zunächst abzulehnen, gäbe es "mit Sicherheit" nicht. Es werde nach Recht und Gesetz entschieden. Außerdem würden die Entscheidungen nicht von einzelnen Mitarbeiter getroffen, sondern von mehreren. Das Ziel sei es nicht, zuerst Geld einzusparen. Der Sprecher nennt die Vorwürfe des Bielefelder Anwalts "Quatsch". Die meisten Menschen, die Widerspruch einlegen würden, zögen diesen nach Klärung der Sachlage später wieder zurück. Und in den Gerichtsverfahren, die übrig blieben, würden die Kläger nur "zu einem geringen Teil Recht bekommen".Keinen Anlass für eine "öffentliche Debatte oder Skandalisierung" sieht auch Raimund Klinkert, Geschäftsführer von "proWerk" in Bethel. "Vor längerer Zeit bestanden Verzögerungen in der Bewilligung (...), insbesondere bei Personen mit einer vollen Erwerbsminderung und einer Rente, die auf Zeit bewilligt wurde. In wenigen Fällen wurde die Rechtsanwendungspraxis des Rentenversicherungsträgers juristisch überprüft." In der Zwischenzeit seien die Indikationsfrage und die Leistungsverpflichtung der Deutschen Rentenversicherung präzisiert worden, "so dass ich davon ausgehe, dass Rechtsansprüche eingelöst werden und Ermessensfragen weitgehend fehlerfrei beantwortet werden. Die gegenwärtige Praxis bestätigt meine Vermutung."
Deshalb sind sie nicht voll einsatzfähig für den regulären Arbeitsmarkt. Arbeiten können – und wollen – sie trotzdem. Für sie gibt es betreute Werkstätten, zum Beispiel in Bethel. Dort stehen Sozialarbeiter und Mediziner bereit. Die Arbeit dort geben dem Leben der Betroffenen Sinn und Struktur. Das Geld kommt meist von der Deutschen Rentenversichung, Abteilung Bund oder Westfalen.
Laut Pattberg winden die sich, wenn es um’s Geld geht. Deshalb müsse er da nachhelfen. Der Anwalt vermutet, dass System hinter den Ablehnungen der für ihn offensichtlich berechtigten Anträge steckt. "Wahrscheinlich wird darauf spekuliert, dass nur wenige, höchstens ein Drittel, Widerspruch einlegt oder gar vor Gericht zieht."
Da ist zum Beispiel Herr D., 42 Jahre alt. D. leidet unter einer paranoiden Psychose, außerdem hat er Hepatitis und Diabetes. Sein Antrag auf Arbeit in einer Werkstatt beantwortete die Deutschen Rentenversicherung mit dem Fazit, D. sei "weiterhin" für den Arbeitsmarkt voll tauglich. War D. aber noch nie. Bei so etwas kann Pattberg nur lachen. "Das sind doch Satzbausteine. Wirklich individuell geprüft wurde das wohl nicht."
Das selbe vermutet er bei Herrn K.. Der hat einen Hüftschaden, kann nicht lange stehen und nicht lange sitzen. Für die Rentenversicherung aber ist er: "voll erwerbsfähig".
Oder bei Herrn G. Krankheitsbild: Halluzinatorische Psychose. Die Rentenversicherung aus Berlin teilt mit, dass dessen Leistungsvermögen sich bessern werde, er also erwerbsfähig sei; anderseits wird in eine anderen Schreiben festgestellt, er sei "voll erwerbsgemindert". "Und das aus der gleichen Behörde", empört sich der Anwalt.
Michael Pattberg rät jedem, dem es ähnlich gehe, dazu, Widerspruch einzulegen, notfalls zu klagen – zumal das Sozialgericht Detmold sehr menschlich und klug urteile. Die Erfolgsaussichten seien meist sehr gut, weil die Gesetzeslage eindeutig sei. Zudem gebe es, wenn es um medizinische Rehabilitationen geht, Ermessensspielräume bei Arztbeurteilungen. Die hätten sowieso eine "relative hohe Fehlerquote" sagt er. Pattberg hat erlebt, dass aus einer Epilepsie plötzlich Krampfadern wurden. Und: "Die Ärzte schöpfen ihren Spielraum immer nach unten aus." Auch arme Menschen könnten sich wehren. Für sie gebe es Beratungsbeihilfe und Prozesskostenbeihilfe.
Selbst reich werden mit solchen Streitigkeiten sei nicht möglich, sagt der Anwalt. "Das sind Nischenfälle, die große Kanzleien gar nicht machen können." Er würde auf sie liebend gerne verzichten – wenn es denn diese Ungerechtigkeiten nicht geben würde. So aber ist es nicht. Deswegen geht die Arbeit weiter. Immerhin: Einfacher ist es schon geworden für ihn: "Die kennen mich schon und wissen, dass ich nicht nachgebe. Deshalb knicken die schon oft im Widerspruchsverfahren ein."